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03/2019 | FACHARTIKEL

Mehr Effekt durch Distanz

Durch dispergieren unter Vakuum-Expansion entstehen Farben und Lacke mit kräftigen Farbtönen. Dafür ist weniger Titandioxid notwendig, weil dieses mit der neuen Technik besser dispergiert wird.

ystral Conti-TDS In der Conti-TDS gelangen Flüssigkeit und Pulver auf getrennten Wegen in die Benetzungszone

Titandioxid (TiO2) gehört zu den wesentlichen Kostentrei-bern bei der Herstellung von Farben und Lacken. Der-zeit werden weltweit rund sieben Millionen Tonnen TiO2 im Jahr produziert. Der Weltmarktpreis je Tonne hat in den letzten Jahren im Schnitt um etwa 50 Prozent zugelegt. In der Spitze hat er sich sogar nahezu verdoppelt. Damit Anwen-der das TiO2 sparsamer einsetzen können, gibt es neues Verfahren, welches das Inline-Dispergieren mit der Vakuum-Expansionsmethode kombiniert. TiO2 ist mit einem Anteil von etwa 60 % das wichtigste Pigment bei der Herstellung von Lacken, Farben und Druckfarben. Es ist die Grundlage weißer und farbiger Töne. Das liegt daran, dass bei der in Lacken und Farben auftretenden subtraktiven Farbmischung Farbpigmente, die jeweils einen Teil des Lichtspektrums absorbieren, erst sichtbar werden, wenn das nicht absorbierte Spektrum reflektiert wird, zum Beispiel durch Titandioxid. Dieses ist aber auch ein großer Kostenblock: Ein Hersteller hat errechnet, dass etwa 25 bis 40 % der Produktionskosten je nach Anwendung auf TiO2 entfallen.

Bislang waren die Europäer die größten Verbraucher von TiO2. Der Rohstoff wird heute in Asien, vor allem in China benötigt. Dort wird in einer einzelnen Fabrik fast so viel Dispersionsfarbe hergestellt wie in ganz Deutschland.

Richtiger Abstand
TiO2 ist sehr fein. Die einzelnen Partikel dieses Pigments sind nur etwa 200 bis 400 Nanometer groß. Ihre wichtigste Eigenschaft: Sie beugen, brechen und reflektieren – kurz: sie streuen das einfallende Licht. Auf-grund des Wellencharakters des Lichts streut jedes einzelne Partikel das Licht innerhalb einer Sphäre, die etwa zwei bis drei Mal so groß ist, wie das Partikel selbst. Ist der Abstand zweier Partikel so klein, dass sich ihre Wirksphären überlagern, dann ist die Streuwirkung bei-der Partikel zusammen kaum höher als die eines einzigen Partikels (Abb. 1). Das heißt: Zu enge Partikelabstände mindern die Wirkung. TiO2-Partikel agglomerieren, sie haften aneinander. Hinzu kommt, dass die meisten wasserbasierten Lacke und Farben einen pH-Wert haben, der dicht am isoelektrischen Punkt des verwendeten Titandi-oxids liegt. Dort ist die Agglomerationsneigung am höchsten. Es ist also eine Desagglomeration und anschließende Stabilisierung durch Dispergieradditive erforderlich. Danach müssen die einzelnen Partikel in optimalen Abständen zueinander homogen verteilt sein, um maxi-male Lichtstreuung zu erzeugen.

Richtig dispergieren
Die Herangehensweise, unter Vakuum-Expansion zu dispergieren, setzt darauf, Partikel zu vereinzeln, Agglomerate zu zerstören und Reagglomeration zu unterbinden. Um die Dispersion stabil zu hal-ten, auch wenn die Dispergiermaschine wieder abgeschaltet ist, sind  Dispergiermittel erforderlich. Moderne Dispergiertechnik zusammen mit optimalen Dispergiermitteln und die Dosierung in ausreichender Menge zum richtigen Zeitpunkt durch die gleiche Maschine – dies sind die Voraussetzungen für ein optimales Dispergieren des Titandioxids. Bisher werden in der Lack- und Farbherstellung vorwiegend High Speed Dissolver (HSD) eingesetzt. Allerdings erreichen sie nur einen relativ niedrigen Schergradienten. Um eine Scherwirkung zu erzeu-gen, benötigen sie hohe Viskositäten. Diese sind beim Verfahren mit der von ystral entwickelten „Conti-TDS“ nicht notwendig; es liefert dennoch eine tausendfach höhere Scherrate. Feinste Pulver mit hoch viskosen Flüssigkeiten zu benetzen – wie im Dissolver – ist unlogisch und schwierig. Das neue Verfahren löst dieses Problem. Es braucht beim Dispergieren 70 bis 90 % weniger Energie und speziell bei Titan-dioxiddispersionen bis zu 95 % weniger Zeit. Die Maschine wird au-ßerhalb des Prozessbehälters installiert (Abb. 2). Dadurch arbeitet sie unabhängig von Behältergröße und -füllstand. Sie kann den Pulver-eintrag bereits bei niedrigen Startfüllständen beginnen. So entstehen optimale Dispergierbedingungen von Anfang an (Abb. 3). Dispergier-mittel werden nicht komplett am Anfang zugegeben, sondern kontrol-liert im Verlauf des Pulvereintrags.
Der übliche Dissolver dispergiert nicht nur, sondern wälzt auch die hochviskose Masse im Behälter um. Nur ein Bruchteil seiner Leistung steht für das Dispergieren in einem großen Volumen zur Verfügung. Das ist mit der neuen Methode anders. Nahezu die komplette Leis-tung dient dem Dispergieren (Abb. 4). Die Dispergierzone selbst hat ein Volumen von weniger als einem Liter. Dadurch ist die zum Disper-gieren eingesetzte spezifische Leistung etwa 10.000-fach höher. Die Maschine erzeugt in ihrer Dispergierzone ein hohes Vakuum, welches das Pulver staub- und verlustfrei in die Flüssigkeit saugt.

Mehr Luft als erwartet
TiO2 enthält – wie jedes andere Pulver – sehr viel Luft, und zwar mehr als 75 Prozent des Schüttvolumens. Die neue Technologie nutzt diese Luft. Im Ausgangszustand unter atmosphärischem Druck berühren sich die Pulverpartikel noch. Doch wenn beim Einziehen des Pulvers ein Vakuum erzeugt wird, expandiert die Luft, und es vergrößern sich die Abstände zwischen den Partikeln (Abb. 5). Die Luft dehnt sich auf dem Weg bis in die Zone maximalen Vakuums immer weiter aus. Auf diese Weise gelangt die Flüssigkeit in alle sich bildenden Zwischen-räume und benetzt jedes einzelne Partikel sofort komplett.

Pulver und Flüssigkeit werden nicht einfach miteinander vermischt. Vielmehr erfolgt die mechanische Dispergierung unter maximaler Tur-bulenz und maximalem Vakuum exakt im Scherfeld der Dispergierzo-ne. Darum benötigt die Vakuum-Expansionsmethode zur Benetzung keine Netzmittel, und weil deshalb nahezu kein Schaum entsteht, auch weniger Entschäumer.

Die Luft aus dem Pulver wird durch die Zentrifugalwirkung der Maschi-ne von der Dispersion getrennt und mit der Flüssigkeit in den Behälter geführt. Es bilden sich große Blasen. Die Luft entweicht. Die Benet-zung erfolgt außerhalb des Behälters. Dadurch gibt es keine Stau-banhaftungen oberhalb der Flüssigkeit – etwa an der Innenseite des Behälters oder an dessen Deckel.

Herstellung von Pigmentpräparationen (Colorants)
Titandioxid-Pigmentpasten sind die am häufigsten benötigten Pig-mentpräparationen für In-Plant- und Point-of-Sale-Tönsysteme. Die hochkonzentrierten Pasten haben einen TiO2-Anteil von 60 bis 80 Prozent. Sie werden bisher mit einem Dissolver hergestellt und in einer Mühle auf die bestmögliche Feinheit gemahlen. Der Dissolver ist allein nicht in der Lage, das Pigment vollständig aufzuschließen.

Das neue Verfahren ist im Vergleich zum bisherigen Prozess nicht nur schneller, sondern es kommt auch ohne Mühle aus. Bereits unmittel-bar nach dem Pulvereintrag wird eine Partikelgrößenverteilung erzielt, wie sie bisher sogar mit zusätzlicher Mühle nicht entstand.
Die Qualität des Endprodukts hing bisher stark von der Qualität des TiO2 ab. Die Erfah-rung mit dem neuen Verfahren hat gezeigt, dass es schon mit kostengünstigem TiO2 ein besseres Ergebnis erreicht.
Traditionelle Dissolver-Rezepturen enthalten oft viel Netz-, aber zu wenig Dispergiermit-tel. Das neue Verfahren benötigt kein Netz-mittel, aber mehr Dispergiermittel. Verglichen mit der bisherigen Fertigung entstehen eine kleinere Partikelgröße und eine engere Par-tikelgrößenverteilung. Dadurch wächst die spezifische Pigmentoberfläche, die vom Dis-pergiermittel stabilisiert werden muss. 20 % mehr Oberfläche bedeutet, es sind 20 % mehr Dispergiermittel zur Stabilisierung erfor-derlich.
Abb. 6 zeigt die Situation bei der Fertigung einer nicht angepassten traditionellen Dis-solverrezeptur. Das gesamte Dispergiermittel wurde am Anfang zugegeben. In den ersten Sekunden Nachdispergierzeit wird die Parti-kelgrößenverteilung kleiner, bei weiterer Di-spergierung wieder größer. Es ist also nicht ausreichend Dispergiermittel vorhanden. Abb. 7 zeigt das Ergebnis bei angepasster Dispergiermittelmenge und optimierter Dosierung direkt in den Prozess. So lässt sich der Effekt des TiO2 effizienter nutzen.

Füllstoffe einarbeiten
Dispersionsfarben für Innen- und Außen-wände enthalten neben TiO2 Füllstoffe wie Calciumcarbonat, Talkum oder Kaolin. Im Dissolverprozess wird die Viskosität der Flüs-sigvorlage durch Zugabe eines Verdickungs-mittels am Anfang des Prozesses erhöht und das TiO2 mit allen Füllstoffen über die Ober-fläche zugegeben. Die Pulver werden in die Flüssigkeit eingerührt. Diese Methode führt zu erheblichen Qualitätsschwankungen. Oft-mals muss kontrolliert und nachjustiert werden.

Mit der neuen Technologie ist das anders. Prinzipiell könnte man mit der gleichen Re-zeptur und in derselben Reihenfolge arbeiten. So lässt sich eine konstante Qualität errei-chen. Wenn man aber bei gleicher Rezeptur das Verfahren umstellt, sind weitere Quali-tätsverbesserungen und Zeiteinsparungen von 35 bis 70 % möglich. Ein wesentlicher Schritt ist es, die Zugabe des Verdickungs-mittels an das Ende des Prozesses zu setzen oder sogar in den nachfolgenden Let-down-Prozess auszulagern. Dadurch arbeitet man beim Dispergieren mit einer niedriger visko-sen Flüssigkeit. Eine optimierte Rezeptur re-duziert vor allem die Rohstoffkosten. Organische polymerbasierte Verdickungsmit-tel sind nicht scherstabil. Im Dissolver wird ein großer Teil der Verdickungswirkung über die lange Bearbeitungszeit irreversibel zerstört. Mit dem neuen Verfah-ren nicht. So sinkt der Verdickeranteil um etwa 20 % – bei konstanter Qualität und Viskosität.

Um das TiO2 maximal zu dispergieren, wird der Prozess so gefahren, dass am Anfang ausschließlich das TiO2 unter optimalen Bedingungen mit nur einem Bruchteil der Flüssigkeit dispergiert wird. So entsteht schon früh im Prozess die bestmögliche Partikelgrößenverteilung. Die Partikel der übrigen Füllstoffe sind bis zu 20-mal größer als TiO2-Partikel. Eine gemeinsame Dispergierung behindert eine optimale Dispergierung von TiO2 und bewirkt das Crowding von Titandioxid (Abb. 8): Die wesentlich kleineren Titandioxidpartikel werden in den Lücken der viel größeren Füllstoffe konzentriert, sind nicht homogen und nicht optimal verteilt. Deshalb ist das Dispergieren des Titandi-oxids vor Zugabe der Füllstoffe in einem Teil der Flüssigkeit von Vorteil.
Deckvermögen und Farbstärke
Der Dissolver funktioniert nur bei einem optimalen Füllstand. Deshalb ist dort eine Prozessführung nicht möglich, die das Titandioxid vordi-spergiert. Das neue Verfahren arbeitet füllstandsunabhängig. Es kann mit kleinen Mengen starten. So wird das TiO2 optimal dispergiert. Erst nach der Dispergierung erfolgt dann die Zugabe der übrigen Flüssig-keiten, der Füllstoffe und schließlich der Verdickungsmittel. Danach braucht nicht mehr dispergiert zu werden (Abb. 4).
Anwender, die auf diese Weise ihre Prozesse optimiert haben, errei-chen damit sowohl ein besseres Deckvermögen als auch eine höhere Farbstärke. Die bisherige Qualität lässt sich also erreichen, indem man den Anteil an TiO2 reduziert und zwar in einer Größenordnung von durchschnittlich acht Prozent. (Abb. 9 und Abb. 10) Zudem sind weni-ger Verdicker, Netzmittel und Entschäumer notwendig.

In Dispersionsfarben, in denen durch Composite- oder Hybridpigmen-te, besonders feinteilige Füllstoffe oder TiO2-Enhancer der TiO2-Anteil bereits minimiert ist, sind weitere Einsparungen durch bessere Disper-gierung allerdings beschränkt.

TiO2-Slurry und -Intermediates
In der Industrie geht der Trend von der Von-Grund-auf-Fertigung (Co-Grind), bei der alle Komponenten einzeln zugegeben und vermengt werden, hin zur Slurry-Methode. Dabei werden die einzelnen Pulverkomponenten separat unter für sie optimalen Bedingungen in Flüssigkeit dispergiert. Aufgrund sensibler Re-zepturen und um sich nicht an einen Slurrylieferanten zu binden, werden Slurries meist von den Farb- und Lackherstellern selbst produziert. Sie lagern dann Slurries auf Vorrat, und die Fertigpro-dukte werden aus flüssigen Slurries gemischt.

Selbst wenn man bei der bisherigen Co-Grind-Fertigung bleibt, ist es zu empfehlen, mit einem TiO2-Slurry zu arbeiteten.

Ein Slurry muss nicht nur aus einem einzelnen Pulver in der Flüs-sigkeit bestehen. Enthält er mehrere Zusatzstoffe, spricht man von Intermediates. Für ein TiO2-Intermediate ist es sinnvoll, das TiO2 mit einem Spacer zu kombinieren. Dieser soll die Wirkung des TiO2 verstärken. Ein typisches Beispiel ist feinteiliges Kaolin. Es sorgt dafür, dass die einzelnen TiO2-Partikel sich am Kaolin orientieren, optimal verteilen und stabilisieren.


ystral Fachartikel Farbe und Lack

Magazin: Farbe und Lack
Ausgabe: 03/2019
Autor: Dr. Hans-Joachim Jacob

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